Wertschätzung geht durch den Magen

Weihnachtsfeier der Stiftung „Lichtblick“ mit Menü für 80 Gäste 

(Foto: Simon Schwemler, Koch-Auszubildender, dekoriert den Hauptgang: Vegetarisches Chili mit einem Klecks saurer Sahne. Fotos: Jutta Degen-Peters )

Hanau – Viele Lichter, ein langer Tisch voller Geschenkpäckchen, Gelächter und Stimmengewirr allerorten im großen Saal der Alten Johanneskirche, heute Sitz der Stadtkirchengemeinde. Auch Anja Gornig sitzt entspannt und gut gelaunt unter den rund 80 Gästen, die an diesem Abend bei der Weihnachtsfeier der Stiftung „Lichtblick“ von einer Gruppe von Köchen und Gastro-Fachmännern ein leckeres Menü gezaubert bekommen. „Ich dachte, wir müssten uns das Essen an den Tisch holen“, sagt die 33-Jährige, „aber wir werden hier sogar noch bedient.“ Diese Aufmerksamkeit kommt bei allen Gästen gut an. Sie kommen aus Einrichtungen der Stiftung „Lichtblick“. Dazu zählen unter anderem das Betreute Wohnen, die Hanauer Tafel oder die Beratungsstelle für von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen.

Noch vor Wochen hätte Anja Gornig nicht für möglich gehalten, dass sie an der Weihnachtsfeier der Stiftung würde teilnehmen können. Die 33-Jährige hat wegen psychischer Erkrankungen längere Aufenthalte in der Psychiatrie Hanau hinter sich. Nach ihrer Trennung vom Partner nach zehnjähriger Beziehung stand sie von einem Tag auf den anderen auf der Straße und fand in der psychischen Ausnahmesituation, in die sie die Trennung und Entwurzelung gestürzt hatten, schließlich Halt bei der Stiftung „Lichtblick“.

„Für die Möglichkeit, dort geholfen zu bekommen, bin ich sehr dankbar“, sagt Gornig und wirft einen Blick in die Richtung, in der Heike Kleinke sitzt, ihre Betreuerin und eine der Sozialpädagoginnen der ersten Stunde bei der damals noch kleinen Stiftung. Die Frau, die ihren Schutzbefohlenen immer wieder Halt gibt und bei Gängen zu Behörden „kämpft wie eine Löwin“. Gornig sagt auch: „Ohne Frau Kleinke säße ich nicht hier.“

An dieser Stelle muss die Wahl-Hanauerin ihre Schilderung unterbrechen. Der Hauptgang wird aufgetragen, ein fleischloses Chili-Gericht mit einem dicken Klecks saurer Sahne, serviert von jungen Männern mit blütenweißen Kochmützen und -jacken. Das macht schon was her. Wie so oft ist das, was die Köche-Crew, die schon drei Stunden im Einsatz ist, im Handumdrehen verspeist. Doch die Gäste im Raum machen klar, wie schön es ist, mal wieder etwas Richtiges zu essen, das zudem noch so liebevoll angerichtet ist.

Auch Anja Gornig ist angetan von der Wertschätzung, die ihnen da zuteil wird. Wertschätzung, das war für sie ein wichtiger Grund, weshalb sie sich für „Lichtblick“ entschieden hat. Dort fühle man sich gut aufgehoben, man lasse ihr ihren Freiraum, sie bekomme aber Werkzeug an die Hand, um mit den eigenen Problemen besser umzugehen, und werde gefordert. Das ist gut für die 33-Jährige, die ihr gesamtes altes Leben hinter sich gelassen hat. Familie und Freunde hätten sich von ihr abgewendet, sie habe ihre gewohnte Umgebung verlassen und habe 80 Kilo abgenommen – alles habe sich geändert.

Dass sie an diesem Abend so offen über ihre Geschichte spricht, ist nicht selbstverständlich. Denn für viele ist ein Absturz aus dem „ganz normalen Leben“ schambehaftet. Dabei, so betont der Geschäftsführer der Stiftung, Jörg Mair, befänden sich unter den Klienten viele, die durch einen oder mehrere Schicksalsschläge oder durch gesundheitliche Beeinträchtigungen von heute auf morgen ihr gewohntes Leben als Geschäftsführerin, Sachbearbeiter, Manager oder Verkäuferin nicht weiterführen könnten. „Das geht manchmal so schnell“, sagt Mair und unterstreicht seine Worte mit einem Fingerschnipsen.

Das ist auch den Jungs klar, die schon seit einigen Jahren das Essen für die Menschen der Stiftung zubereiten. Ricardo Carou Diez, der als Kundenbetreuer bei einer Bank die Idee dazu hatte, Menschen nicht mit Geldspenden zu helfen, sondern dadurch, dass ihnen zur Weihnachtszeit ein richtiges kleines Menü gekocht und serviert wird. Dass er die Zutaten für das Essen – diesmal kommen Tomate/Mozzarella mit Basilikumcreme auf den Tisch, Chili ohne Fleisch und zum Nachtisch Apfelkuchen mit karamellisierten Äpfeln – aus eigener Tasche bezahlt, sei nur am Rande erwähnt.

Ihm zur Seite stehen drei langjährige Freunde: Sandro Ciani, Gastro-Berater, der sich als „feel-good manager“ mit dem Wohlergehen von Kunden auskennt, Mario Schmehl, der als kulinarischer Direktor von „Food affairs“ 14 Betriebe leitet, und der Berufsschullehrer und Koch Philipp Schrader, der an den Beruflichen Schulen Gelnhausen Köchinnen und Köche ausbildet und die Jugend immer wieder auch für die vorweihnachtliche Kochaktion begeistern kann. Da ist der 21-jährige Simon Schwemler, der beim Hausfrauenbund arbeitet, Mark Schindler, 18 Jahre alt und bei den Main-Kinzig-Kliniken Gelnhausen tätig. Schon ausgelernt haben Frederic Peine, Koch bei der Martin-Luther-Stiftung, und Jan Iwanitzky, der als Hessens bester Köche-Azubi ausgezeichnet wurde und mittlerweile „Food Management“ studiert. Die ehemaligen und aktuellen Absolventen der Beruflichen Schulen wollen mit ihrem Einsatz soziales Engagement beweisen. Die vier coolen „alten Hasen“, die sie anleiten, sind für sie beste Beispiele dafür, was der Beruf des Kochs für Perspektiven bietet. Und an diesem Abend übernehmen die Älteren die Hilfsarbeiten und die Jungen dürfen unter anderem beim Anrichten zeigen, was sie können.

Als sich der Abend seinem Ende zuneigt, sind die Jungs in der Küche mit Spülen und Aufräumen fertig. Drinnen wird bei einer Weihnachtstombola jeder Besucher mit einem Geschenk bedacht. Anja Gornig packt eine Kuchenform zum Frischhalten aus. Vielleicht steht dann demnächst in ihrer Wohnung mit der Mitbewohnerin eine Backsession auf dem Programm. „War ein schöner Abend“, sagt sie zufrieden.